PID bei medizinischer Indikation zwar zulässig:

Mit § 3 a ESchG (Embryonenschutzgesetz) und der PIDV (Präimplantationsdiagnostikverordnung) vom 1.2.2014 wurde PID nun auch in der BRD bei enger medizinischer Indikation vom Gesetzgeber ausdrücklich zu einer zulässigen ärztlichen Behandlung in Fällen genetischer Erkrankung erklärt. Allerdings haperte es dann noch eine Zeit lang an der praktischen Umsetzung wie beispielsweise der Einsetzung der Ethikkommissionen. In einigen Bundesländern wurden erst in den Folgejahren installiert und haben anschließend ihre Arbeit aufgenommen (z.B. in Bayern, Ende 2015).

Aber: derzeit keine Kostenübernahme in der GKV

Eine ausdrückliche Regelung des Gesetzgebers zur Kostenübernahme für PID fehlt derzeit leider. So müssen die betroffenen Patienten im Einzelfall vor Gericht für eine Kostenübernahme streiten, wenn ihre Kasse die Kosten nicht aus Kulanzgründen trägt. Die Sozialgerichte, die für den Bereich der GKV (Gesetzliche Krankenversicherung) bei Rechtsstreitigkeiten zuständig sind, tun sich schwer, eine Anspruchsgrundlage zu finden und verneinen derzeit einen Anspruch auf Kostenübernahme für PID; sie pochen darauf, dass der Gesetzgeber sich des Themas annehmen solle.

Das hat in der derzeitigen Praxis zur Folge, dass die Behandlung zwar zulässig und eröffnet ist, die Kassenpatienten die Kosten aber selbst tragen müssen. Das ist eine halbherzige und sehr unbefriedigende Situation!

Die Sozialgerichte begründen ihre Ansicht u.a. damit, dass in einem genetischen Leiden und dem – hohen – Risiko einer Vererbung an die Nachkommen keine Krankheit zu sehen sei. Das sei Schicksal oder Zufall; die Zeugungsfähigkeit „an sich“ sei ja gegeben. Auch werde die etwaige genetische Erkrankung mittels PID nicht kausal behandelt; deswegen liege keine Krankenbehandlung vor, wie sie für die Kostenübernahme durch die Krankenkassen, §§ 26 ff. SGB V, vorausgesetzt werde. Und schließlich sei PID eine neue und derzeit noch nicht anerkannte Behandlungsmethode; auch die RL des G-BA (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses)  würden zur PID schweigen. Dies alles veranlasst die Sozialgerichte bisher, für PID eine Kassenleistung zu versagen.

Nach unserer Meinung überzeugt die heute herrschende Argumentation der Sozialgerichte nicht. Denn ein Gendefekt ist aus medizinischer Sicht eine Krankheit und die Behandlung mittels PID kann eine Schwangerschaft auf Probe mit nachfolgender Zwangslage und der Frage nach etwaiger Spätabtreibung eines schwer kranken oder todgeweihten Kindes vermeiden. In diesem Falle wäre eine Abtreibung wegen der medizinischen Indikation rechtmäßig und nach heutiger Rechtslage übrigens auch Kassenleistung! PID soll das nach Meinung der Sozialgerichte nicht sein – auch aus rechtsethischer Sicht ist das ein schwer erträglicher Widerspruch!

Wie damals bei IVF:

Die Argumentation zur PID erinnert übrigens sehr an die Anfangsphase der IVF-Behandlung (künstliche Befruchtung) bei „bloß“ fertilitätsrelevanten Krankheitsursachen, also z.B. dem Fehlen oder Funktionsversagen der Eileiter oder männlicher (andrologischer) Subfertilität.

Auch die (damals neue) IVF – Behandlung war zunächst nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt und die Sozialgerichte argumentierten nahezu identisch (keine Krankheit, keine Krankenbehandlung, keine Notwendigkeit zur Behandlung). Ergebnis damals: die herrschende Rechtssprechung versagte für IVF eine Kassenleistung. Das war zu Beginn der 1980er Jahre – mehr dazu auf unserer Seite „Rechtshistorie“! Als erstes entschied das Sozialgericht Gelsenkirchen 1983 gegen den Trend und sah die IVF – Behandlung als Kassenleistung. Das leitete eine völlige Umkehrung der Rechtssprechung ein!

Aus medizinischer Sicht und rückblickend ist es heute absolut unbegreiflich, IVF als Behandlung von Sterilitätserkrankungen in Frage zu stellen.  Dennoch hat sich Argumentationsschema von damals nun fortgepflanzt bei der heute aktuellen Problematik “ PID als Kassenleistung?“.

BSG, Urteil vom 18.11.2014,  AZ. B 1 KR 19/13:

In einem von unserer Kanzlei geführten Prozess haben die Instanzgerichte (SG Karlsruhe und LSG Stuttgart) die Klage auf Kostenübernahme für PID bei Vorliegen einer genetischen Erkrankung auf männlicher Seite leider auch abgewiesen. Das LSG neigte aber zumindest dazu, in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung das Vorliegen einer Krankheit zu bejahen; freilich ließ es unsere Klage am Merkmal „Behandlung“ scheitern (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.07.2013, Az. L 4 KR 4624/12).

Das LSG hatte aber wenigstens auf unseren Antrag hin die Revision zum BSG zugelassen.

Leider hat das BSG unsere Revision als unbegründet zurück gewiesen (Urteil vom 18..11.2014). Im Gendefekt des Klägers, der bei ihm selbst die Erbkrankheit CADASIL auslöste, sah das BSG zwar eine Krankheit. Jedoch werde diese Krankheit mittels PID nicht behandelt. PID (in Verbindung mit IVF = künstlicher Befruchtung) verfolge das Ziel, eine mit dem Gendefekt befallene Eizelle nach der künstlichen Befruchtung zu erkennen und vom weiteren Fortpflanzungsgeschehen auszuschließen. Darin sah das BSG keine Krankenbehandlung des Klägers. Außerdem liege eine positive Bewertung der Ethikkommission für die Behandlung nicht vor.

Anmerkung:

Ein positives Votum der Ethikkommission konnte damals  nicht vorliegen, da die Kommission bis dahin nicht existierte, obwohl der Auftrag des Gesetzgebers dazu seit 2011 bestand! Die Untätigkeit im Vollzug des Gesetzes darf aber nicht den Patienten, die dafür absolut nicht verantwortlich sind, in die Schuhe geschoben werden!

Die Überlegungen des BSG zum Behandlungsbegriff greifen aus medizinischer Sicht viel zu kurz. Denn mittels PID wird der Gendefekt erkannt und sein Fortwirken – im Rahmen der Fortpflanzung – unterbunden. Damit wird der regelwidrige Körperzustand des Klägers für die – entscheidende – Zeit des Fortpflanzungsvorgangs behoben oder kompensiert.