By Rechtsanwalt Hans Modl|2012-11-01T18:24:43+01:00Januar 9th, 2010|Rechtshistorie, Trends|0 Comments
Die neuen Behandlungsmethoden der modernen Reproduktionsmedizin waren für die Gerichte Neuland.
Mit der zutreffenden rechtlichen Einordnung hatten die Gerichte anfangs erhebliche Probleme. Sie lehnten nämlich die IVF als Heilbehandlung einer Krankheit und somit als Versicherungsfall in der PKV ab -gegen jede „medizinische Vernunft“. So wurde IVF von den Medizinern zwar erfolgreich praktiziert, die Kostenübernahme für die Heilmethode von den Gerichten aber mehrheitlich negiert!
IVF als Versicherungsfall – juristisches Neuland ein schwieriges Terrain für die Gerichte:
Ihre Ablehnung begründeten die Zivilgerichte damit, Sterilität sei keine Krankheit, IVF sei keine Heilbehandlung der Krankheit oder jedenfalls nicht notwendig.
Merkwürdiger Weise wurde die IFV-Behandlung zuerst über den Umweg der Behandlung eines sekundär aufgetretenen Nervenleidens als Versicherungsfall anerkannt (Urteile des LG Hamburg vom 30.10.1985 und des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 17.09.1986, 8 U 185/85). In diesem von unserer Kanzlei erstrittenen Urteil ist ausgeführt:
Das Gericht neige dazu, die IVF-Behandlung unserer Mandantin als Heilbehandlung ihrer Sterilität zu werten. Das brauche aber nicht entschieden zu werden, weil jedenfalls die zusätzlich aufgetretene psychische Erkrankung (Depression aufgrund der ungewollten Kinderlosigkeit) mittels (!) IVF behandelt werde. – So verquer können Richter argumentieren, wenn es um juristisches Neuland geht, das sie nicht betreten wollen.
Auch das LG München I war damals noch auf Ablehnung der neuartigen IVF eingestellt. Sein Urteil vom 19.09.1984 ist ein Musterbeispiel für die angesprochene Reserviertheit der Gerichte gegenüber Neuem. Es wies unsere Klage ab. Auf 17 Urteilsseiten rang es sich zwar dazu durch, (1) die Sterilität als Krankheit zu sehen, auch sei (2) die IVF eine Heilbehandlung dieser Krankheit – aber (3): für diese Heilbehandlung bestehe keine medizinische Notwendigkeit!
Dabei verwechselte das Landgericht auch noch den medizinischen Sachverhalt und sprach von fehlenden Eierstöcken statt fehlender Eileiter (nach einer Krebstherapie). Auf unsere Berufung wurde das Fehlurteil des Landgerichts vom OLG München (Urteil vom 30.06.1987) aufgehoben und der Klage unserer Mandantin auf Zahlung der IVF- Behandlungskosten stattgegeben.
Der BGH hatte in einem anderen Prozess mit seinem 1. Urteil zur IVF (17.12.1986, IV a ZR 78/85) für Klarheit gesorgt: bei entsprechender Indikation ist die IVF-Behandlung ein Versicherungsfall in der PKV.
Alle unteren Gerichtsinstanzen und notgedrungen auch die Krankenversicherer folgten in Zukunft dieser Einschätzung.
IVF und 2. Kind / weiterer Kinderwunsch:
In jüngster Vergangenheit musste dann heftig um die Frage „ 2. (weiteres) Kind „ gestritten werden. Unsere Kanzlei führte auch hierzu zahlreiche Prozesse. Am Ende gab der BGH auch in dieser Frage den klagenden Kinderwunsch-Paaren Recht!
Aktuelle Streitfragen, Trends:
Paare mit „gemischten Krankheitsbefunden“ (und unterschiedlichen Versicherungen) werden neuerdings oft im Stich gelassen, indem ein Versicherer die Verantwortlichkeit auf den jeweils anderen schiebt. Hier hilft es dann oft nur, beide Versicherungen zu verklagen.
Strittig ist derzeit noch, ob die Kostenübernahme nur verheirateten Kinderwunsch-Paaren zusteht oder auch eheähnlichen (heterosexuellen) Paaren eröffnet ist (Ehevorbehalt). Nach unserer Auffassung darf die Leistung in der Krankenversicherung nicht vom Paarstatus (Heirat oder eheänhliche Lebensgemeinschaft) abhängen. Die Instanzgerichte beurteilen die Frage des Ehevorbehalts derzeit unterschiedlich; ein Urteil des BGH steht dazu noch aus.
Nachdem die IVF nun unstreitig in der PKV ein Versicherungsfall ist, gehen manche Versicherer zu Beschränkungen in ihren Standard- oder Basistarifen über! Sie legen in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen dort für IVF und alle anderen Maßnahmen der künstlichen Befruchtung und modernen Reproduktionsmedizin Leistungsausschlüsse oder -beschränkungen fest; umfassender Versicherungsschutz für das Sterilitätsrisiko und dessen Heilbehandlung besteht dann nur in den Premiumtarifen. – Also Vorsicht beim Abschluss von Verträgen oder Tarifänderungen! Hier sollte man vorher unbedingt den Leistungsumfang und „das Kleingedruckte“ genau prüfen!
Die Versicherer schulden eine Kostenübernahme für die IVF-Behandlung nur, wenn sie hinreichende Erfolgsaussichten hat. Manche Versicherer neigen nach unserer Erfahrung dazu, die medizinischen Anforderungen zu streng auszulegen und berechtigte Leistungsansprüche abzulehnen. In solchen Fällen sollten Patienten unbedingt anwaltlichen Rat suchen!
Versuchszahl, Kryokosten, Mehrkosten bei mehr als 5 behandelten Eizellen: Zwar ist die IVF als Versicherungsfall seit mehr als 20 Jahren grundsätzlich anerkannt. Dennoch sind zahlreiche Details heute noch streitig und in der Rechtsprechung noch nicht oder erst teilweise geklärt. Da der medizinische Fortschritt nicht still steht und sich immer wieder neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen, entstehen so auch ständig neue Streitthemen zwischen PKV und Patienten.