Krankenkassen und die kostenübernahme bei Kinderwunsch und IVF Behandlungen. Ein großes Streitthema! Doch oft kann ein Anwalt helfen.
Kryokosten I – Diese gehören derzeit nicht zum Leistungsumfang der Krankenkassen, aber es gibt Ausnahmen!
Manchmal werden Eizellen bei einer IVF-Behandlung im unbefruchteten Zustand oder im Vorkernstadium eingefroren, um sie für einen späteren Behandlungszyklus zu verwenden. Das kommt z. B. dann vor, wenn die Stimulation besser verlief als „kalkuliert“ und mehr potente Eizellen für den Transfer zur Verfügung stehen als in einem Transfer-Zyklus nötig oder sinnvoll sind (Problem: Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft!).
Im Bereich der GKV müssen die Kosten, die auf die Gewinnung, Aufbereitung und das Einfrieren und Lagern dieser Eizellen entfallen, nicht von der Kasse neben den sonstigen Behandlungskosten getragen werden, so die bisher eindeutige Rechtsprechung des BSG.
Nach den Gesetzesmaterialien zu § 27 a SGB V solle die künstliche Befruchtung nur den Zeugungsakt des unfruchtbaren Paares an sich ersetzen. Dazu gehöre nicht mehr die vorsorgliche Gewinnung und Kryokonservierung weiterer Eizellen für spätere Verwendungen. Selbst wenn es dem Wirtschaftlichkeitsgebot, § 12 Abs. 1 SGB V, entspreche und kostengünstiger sei, Eizellen zu konservieren statt sie durch einen späteren Eingriff zu gewinnen, könne dies keinen Leistungsanspruch schaffen (BSG, B 8 KN 3/99 KR R, Urteil vom 25.03.2000).
Das BSG hat seine Rechtsauffassung später in 2 weiteren Entscheidungen bekräftigt (B 1 KR 95/03 B vom 09.12.2004 und B 1 KR 11/03 R vom 22.03.205).
Für Kryo-Kosten von Sperma gilt im Prinzip das Gleiche (Urteil vom 28.09.2010).
Anmerkung 1: Die Sicht des BSG lässt nach unserer Auffassung die medizinische Wirklichkeit etwas außer Acht. Denn mit der Stimulation lässt sich die Zahl der Eizellen und deren Potenz für einen späteren Transfer nicht exakt vorherbestimmen. Es können mehr potente Eizellen im Einzelfall entstehen als geplant. Sollen diese dann verworfen werden (und welche von den überzähligen?) und der nächste Zyklus wieder als „Vollzyklus“ durchgeführt werden? Oder sollen alle Eizellen gegen die medizinische Vernunft transferiert werden (Stichwort: Risiko hoher Mehrlingsschwangerschaften!)?
Anmerkung 2: In seinem Urteil vom 17.02.2010 lässt das BSG nun eine Ausnahme zu, nämlich wenn eine andere Grunderkrankung vorliegt und die Kryo-Maßnahme mit der Behandlung dieser anderen Krankheit zusammenhängt, die zur Sterilität geführt hat oder führen könnte (siehe Artikel Kryokosten II auf dieser Seite!)!
Kryokosten II – Kassenleistung wenn Behandlung einer „Grunderkrankung“ (hier: Strahlentherapie, Konservierung + Reimplantation von Eierstockgewebe) – zur Abgrenzung § 27 / § 27 a SGB V
Kryokosten gehören nach derzeit herrschender Rechtsauffassung der Sozialgerichte nicht zum Leistungsumfang der Kassen wenn sie im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung stehen, § 27 a SGB V (vgl. weiterer Artikel auf dieser Seite: Kryokosten I).
Etwas anderes gilt aber nach dem Urteil des BSG vom 17.02.2010 dann, wenn die Kroykonservierung im Zusammenhang mit einer anderen Krankheit steht und der späteren Wiederherstellung der natürlichen Empfängnisfähigkeit dient. Das BSG spricht von „Grunderkrankung“. Wenn
Abstimmungsproblem GKV / PKV: Systemlücke = Leistungslücke – keine volle Kostenübernahme durch Krankenkasse, wenn der (gesunde) Ehepartner privat versichert ist (BSG)!
Im Kassenrecht (GKV) gilt grundsätzlich gemäß § 27 a SGB V das Behandlungsprinzip. Die Kasse muss demnach -nur- Leistungen für die Behandlungsmaßnahmen gewähren, die am Körper ihres Mitglieds durchgeführt werden (und noch für extrakorporale Maßnahmen), unabhängig davon, wer von beiden der Verursacher der Paarsterilität ist. Für Behandlungsteile am Körper des anderen Ehepartners muss sie dagegen nicht aufkommen.
Das passt zusammen, wenn beide Ehepartner Mitglieder in der GKV sind. Dann kann auch keine Leistungslücke im System auftreten.
Der Versicherungsfall in der PKV (privaten Krankenversicherung) ist aber anders geregelt. Dort gilt streng das Verursacherprinzip. Die PKV muss demnach nur dann und insoweit leisten, als es um eine Sterilitätserkrankung ihres eigenen Versicherungsnehmers geht.
Bei einem „gemischt versicherten“ Ehepaar passt dies nicht zusammen, da GKV und PKV in der Zuordnung der Behandlung nicht aufeinander abgestimmt sind. Es kann eine Leistungslücke entstehen, z.B. bei folgender Konstellation: Der Mann (GKV) ist der alleinige Verursacher der Sterilität und seine gesunde Frau ist privat versichert. Deren PKV muss dann nämlich keinerlei Kosten übernehmen (mangels Krankheit ihrer Versicherungsnehmerin). Nach Ansicht des SG Trier muss in dieser besonderen Situation die Kasse des Mannes ausnahmsweise auch die “weiblichen” Behandlungskosten (Behandlungsmaßnahmen am Körper der Frau) tragen (S 4 KR 135/02, Urteil vom 10.02.2004), da anders die Leistungslücke im System nicht geschlossen werden könne!
Anmerkung: Das Urteil des SG Trier wurde nicht rechtskräftig. In der Berufungsinstanz kam es zu einem Vergleich.
Das Urteil des SG Trier ist nach unserer Meinung im Ergebnis zutreffend; das Behandlungsprinzip im Kassenrecht gemäß § 27 a SGB V Abs. 3 ist nach unserer Auffassung nur anzuwenden, wenn beide Ehepartner Kassenmitglieder sind.
update: Inzwischen hat leider das BSG der Rechtsauffassung des SG Trier eine Absage erteilt und in einem anderen Verfahren entschieden, dass die beschriebene Leistungslücke bei gemischt versicherten Paaren hinzunehmen ist (Urteil vom 18.09.2008, B 3 KR 5/08 B). Damit werden gemischt versicherte Paare in bestimmten Konstellationen schlechter gestellt als einheitlich GKV versicherte Paare! Das BSG will darin keine unzulässige Ungleichbehandlung sehen! – Das überzeugt nicht – ist aber so!
Infos, Überblick – Kostenübernahme IVF:
Hier finden Sie in Kurzform Infos rund um das Thema „IVF, Kinderwunschbehandlung – Kostenübernahme für Sterilitätsbehandlung“ nach den unterschiedlichen Versicherungsbereichen:
- PKV
- GKV
- Beamte – Beihilfe, öffentlicher Dienst
- Soldaten, Polizisten beim Bundesgrenzschutz – Truppenärztliche Versorgung, Heilfürsorge
Bitte beachten Sie, dass jeder Fall anders liegen kann und daher verallgemeinerte Aussagen nicht oder jedenfalls nicht „1 : 1“ übertragbar sind. Individuelle anwaltliche Beratung durch einen Spezialisten ist daher im streitigen Einzelfall unverzichtbar! – Das gilt ganz besonders für Fälle, die „nicht ins Schema passen“ oder komplizierte Ausgangskonstellationen haben – z. B.:
- Problemfälle – unterschiedlicher Versicherungsstatus innerhalb des Paars
- Probelmfälle – beidseitige oder unklare Sterilitätsursachen innerhalb des Paars oder streitige Gewichtung der männlichen und weiblichen Ursachenanteile der Paarsterilität
Leistungsrecht GKV – zu den gesetzlichen Leistungen für IVF in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
Die gesetzlichen Ansprüche der Kassenpatienten auf Krankenbehandlung sind geregelt im SGB V (Sozialgesetzbuch 5. Buch, Krankenversicherung). Es gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot, § 12 SGB V. Der Anspruch ist grundsätzlich auf die Sachleistung (ärztliche Behandlung) gerichtet, in besonderen Fällen auf Kostenerstattung, § 13 SGB V.
§ 27 a SGB V: Die künstliche Befruchtung ist in § 27 a SGB V im Einzelnen geregelt. Dort sind insbesondere folgende Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung derzeit (Rechtsstand seit 1.1.2004) normiert:
- Kinderwunschpaar verheiratet
- Altersgrenzen (Mindestalter 25 Jahre, Höchstalter Frau 40 und Mann 50)
- Homologes System (Keimzellen des Paares, keine Drittspende)
- Vor Behandlungsbeginn von Krankenkasse genehmigter ärztlicher Behandlungsplan
- Vor Behandlungsbeginn durchgeführte Beratung durch einen dritten Arzt, der die Sterilitätsbehandlung selbst nicht ausführt und hierzu an eine reproduktionsmedizinische Einrichtung überweist
- Beachtung der einschlägigen Richtlinien im Rahmen der sterilitätsmedizinischen Behandlung (Indikation der Behandlung, HIV-Test u.a.)
- Durchführung der Behandlung an einer hierzu befugten ärztlichen Einrichtung, § 121 a SGB V.
Leistungsumfang: Er ist derzeit (Rechtsstand seit 1.1.2004) bundesgesetzlich durch § 27 a SGB V mehrfach begrenzt, z.B.:
- 50 % der Kosten
- Höchstzahl von Behandlungszyklen (z.B. bei IVF und Insemination im stimulierten Zyklus: 3 x).
Einzelheiten zur Indikation (z.B. bei Subfertilität, idiopathische Sterilität etc.), zur Durchführung der Behandlung und zu verschiedenen Behandlungsvarianten ( IVF, ICSI, IUI usw.) sind in Richtlinien gemäß § 92 SGB V geregelt, die der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen beschließt.
Widerspruch: Bei Leistungsablehnungen ist die Widerspruchsfrist (1 Monat ab Zustellung des Ablehnungsbescheids!) unbedingt zu beachten. Über den Widerspruch entscheidet der Widerspruchsausschuss der Krankenkassen.
Prozess: Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid ist Klage zum zuständigen Sozialgericht eröffnet. Die Klagefrist (ebenfalls 1 Monat, ab Zustellung des Widerspruchsbescheids) ist unbedingt einzuhalten! Sollte die Krankenkasse die Verbescheidung unangemessen lange verzögern, kann unter gewissen Voraussetzungen Untätigkeitsklage erhoben werden.
Ist die anwaltliche Tätigkeit nach Widerspruch oder Klageerhebung erfolgreich, so besteht dem Grunde nach im Regelfall ein Anspruch gegen die Krankenkasse auf Erstattung der Anwaltskosten.
Empfehlung: Nach unseren Erfahrungen kommt es immer wieder vor, dass Leistungsanträge nicht oder erst nach umständlicher und zeitraubender Korrespondenz verbeschieden werden. Unangemessene Verzögerungen sollten Sie nicht hinnehmen. Ein Gang zum Anwalt kann die Sache beschleunigen.
Mehr Info zum Thema? Dann besuchen Sie bitte unsere einschlägigen Seiten Rechtsgrundlagen, Urteile!
Sie wünschen individuelle anwaltliche Beratung oder Vertretung? Dann kontaktieren Sie bitte uns oder einen anderen spezialisierten Anwalt!
Extras einzelner Krankenkassen! Einige Krankenkassen leisten ihren Mitgliedern für Kinderwunschbehandlung mehr, als gesetzlich vorgeschrieben (z.B. mehr als 50 %). Ein Vergleich unter den Krankenkassen könnte sich daher für Sie lohnen!
Sonderfall Kryokonservierung bei anderer Krankheit: Wenn eine andere Krankheit und deren Behandlung die Fertilität gefährdet (z. B. Krebs + Strahlentherapie), ist die Kryokonservierung von Keimzellen ausnahmsweise eine Kassenleistung. Dies wurde nun mit dem TSVG (Terminservice- und Versorgungsgesetz) vom 6.5.2019 gesetzlich geregelt. Vorher war die Rechtslage unklar; die überwiegende Rechtsprechung, so auch das BSG, lehnten Leistungsansprüche (nach alter Rechtslage) ab.
Leistungsrecht PKV – zu den Ansprüchen für IVF in der privaten Krankenversicherung (PKV)
Die Rechtsgrundlagen für den Versicherungsfall im privaten Krankenversicherungsrecht ergeben sich aus dem VVG (Versicherungsvertragsgesetz) und den jeweiligen AVB (Allgemeine Versicherungsbedingungen) der Versicherung. Diese bestehen meist aus Teil I (entspricht oft den Musterbedingungen MB/KK) und Teil II (Tarife). Die Tarifbedingungen können, müssen aber nicht, spezielle Regelungen zu einzelnen Versicherungsfällen, z.B. zur künstlichen Befruchtung, enthalten.
Neuerdings bauen einige Versicherer in ihre Tarifbedingungen Leistungsbeschränkungen oder gar Leistungsausschlüsse zur künstlichen Befruchtung ein. Diese sind „im Kleingedruckten versteckt“! Also Vorsicht – insbesondere beim Neuabschluss oder der Änderung eines Vertrages! Die Unterschiede zwischen einzelnen Versicherern oder einzelnen Tarifen können gravierend sein!
Der Versicherungsfall wird in den Musterbedingungen (MB/KK ) allgemein definiert wie folgt:
„Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen“.
Die Voraussetzungen für den Versicherungsfall in der PKV sind nach der Rechtssprechung:
- Vorliegen einer Krankheit
- Krankheit der versicherten Person (Verursacherprinzip in der PKV!)
- Heilbehandlung der Krankheit
- Notwendigkeit der Heilbehandlung (u.a. Erfolgsaussichten der Sterilitätsbehandlung!)
Einzelheiten sind in der PKV – im Gegensatz zur Rechtslage in der GKV, § 27 a SGB V – nicht normiert. Das hat zur Folge, dass in der PKV ein weit größerer Rahmen für Diskussionen bei der Leistungsgewährung oder beim Leistungsumfang eröffnet ist. Im streitigen Einzelfall müssen die Zivilgerichte den konkreten Versicherungsfall – meist unter Einholung eines sterilitätsmedizinischen Gutachtens nach Aktenlage – dem Grunde und dem Umfang nach beurteilen.
Unterschiede zur GKV: In der PKV gelten keine strikten Altersgrenzen, keine strikte Versuchszahl und auch nicht der Ehevorbehalt (Voraussetzung der Verheiratung – derzeit aber noch strittig!). Für die PKV gilt das Verursacherprinzip. Ein Risikoausschluss zu Sterilitätserkrankungen und Kinderwunschbehandlungen kann im Einzelfall tariflich oder einzelvertraglich bestehen; das ist stets vorab zu prüfen!
Prozess: Dafür sind die Zivilgerichte (1. Instanz: Amtsgericht oder Landgericht, je nach Streitwert der Klage) zuständig. Bei einem Obsiegen im Prozess muss im Regelfall der unterlegene Gegner die Kosten des Prozesses tragen.
Empfehlung: Gerade für den Bereich der PKV ist es daher dringend angeraten, bei Leistungsablehnung oder auch –verzögerung frühzeitig die Hilfe eines hier spezialisierten Anwalts in Anspruch zu nehmen. Bisweilen taktieren die Versicherer nach unseren Erfahrungen mit Hilfe langwieriger Korrespondenz und spielen auf Zeit, um dann den „Alterseinwand“ (mangelnde Erfolgsaussichten der Behandlung, insbesondere bei älteren Frauen) zu erheben.
Mehr Info zum Thema? Dann besuchen Sie bitte unsere einschlägigen Seiten Rechtsgrundlagen, Urteile!
Sie wünschen individuelle Beratung oder Vertretung? Dann kontaktieren Sie bitte uns oder einen anderen spezialisierten Anwalt!
Beihilferecht – Übernahme der kassenrechtlichen Höchstaltersgrenzen zulässig
Im Kassenrecht (gültig für Kassenpatienten) sieht § 27 a SGB V Höchstaltersgrenzen für die Kinderwunschbehandlung vor. Die inhaltsgleiche Übernahme dieser Regelung für (bayerische) Beamte, die in den Beihilfevorschriften erfolgt ist, kann nach dem Beschluss des Bay. VGH nicht beanstandet werden (14 ZB 06.1844, 19.09.2006).
Anmerkung: Für den Bereich der Privatversicherungen gibt es übrigens eine derart starre Altersgrenze nicht. Beamte, die über die Beihilfe abgesichert sind, werden insoweit also schlechter gestellt als Privatversicherte! Das Gericht will diese Ungleichbehandlung tolerieren.