Rechtsanwalt Modl konnte mit seinen Fällen auch schon auf die Gesetzgebung des BGH zum Thema künstliche befruchtung und kostenübernahme bei dieser und ivf Behandlungen Einfluss nehmen
IVF+ICSI ausnahmsweise (allein) aus weiblicher Befundlage indiziert und notwendig (beginnende Ovarialinsuffizienz) – LG München II (19.10.2012):
Sachverhalt:
Die Provinzial Krankenversicherung wollte unserer Mandantin (geboren 1971) keine Versicherungsleistungen für eine kombinierte IVF/ICSI-Behandlung, beginnend 2011, gewähren. Sie wandte ein, dass eine weibliche Sterilitätsursache nicht nachgewiesen sei und die Klägerin wegen einer beginnenden Ovarialinsuffizienz die nötige Erfolgsprognose von 15 % (Erreichen einer Schwangerschaft mittels IVF-Behandlung) verfehle.
Sonstige weibliche Einschränkungen lagen nicht vor bzw. waren nicht bekannt; die Spermiogramme lagen im Normbereich. Im Vorjahr (2010) war es zu einer spontanen Schwangerschaft, allerdings nur biochemisch nachgewiesen und von kurzer Dauer, gekommen.
Das Landgericht München verurteilte die Versicherung, unserer Mandantin die Kosten für den 1. Behandlungszyklus zu erstatten und zwar inklusive ICSI – Kostenteil. Eine kombinierte IVF/ICSI – Behandlung hat in einem derartigen Grenzfall nämlich eine höhere medizinische Erfolgsprognose als eine „einfache“ IVF – Behandlung.
IVF und Leistungsrecht – Rechtshistorie, Trends
IVF – Historie: zur Entwicklung der Gesetzeslage und der Rechtsprechung:
Anfangs musste die rechtliche Anerkennung der IFV-Behandlung als Versicherungs- bzw. Leistungsfall erst grundsätzlich erkämpft werden.
Die neue medizinische Methode wurde nämlich von GKV und PKV als Leistungsfall abgelehnt – ein häufiges Phänomen, wenn strikt traditionalistische Rechtsinterpretation auf praktischen Wissenschaftsfortschritt trifft! Das Ringen um die Anerkennung der neuen Methode dauerte einige Jahre. Am Ende dieses juristischen Grundsatzstreits wurde die IVF als Versicherungsfall in der GKV und PKV durch Urteile der jeweils zuständigen obersten Bundesgerichte anerkannt: nämlich 1985 durch das BSG (Bundessozialgericht) für die GKV und den BGH (Bundesgerichtshof) 1986 für die PKV.
Nach dem Sieg vor den Gerichten setzte plötzlich eine Gegenreaktion ein, um „das Rad wieder zurückzudrehen” mit dem Ziel, die IVF-Behandlung als Versicherungsfall mittels Gesetz wieder abzuschaffen.
Besonders unrühmlich hat sich dabei der Sozialgesetzgeber selbst verhalten: zum 1.1.1989 schaffte er tatsächlich die IVF-Behandlung als Leistungsfall in der GKV per Gesetz ab! Die zuvor günstigen Urteile der Soziagerichte wurden ab sofort zur Makulatur.
Allerdings hatte dieses Gesetz selbst nicht lange Bestand und wurde im Folgejahr wieder aufgehoben – und zwar rückwirkend! Ein skandalöser Rechtszustand fand so ein rasches Ende; vorausgegangen war ein Proteststurm betroffener Patienten.
Nachdem am Versicherungsfall nun nicht mehr zu rütteln war, folgten diverse Versuche, bei Leistungshöhe und Leistungsumfang für die Patienten schmerzhafte Einschnitte vorzunehmen. Diese waren -leider- erfolgreich, insbesondere in der GKV.
Das Ringen um die IVF und Leistungsbeschneidungen setzt sich auch heute fort, wenn z.B. die Krankenkassen derzeit IVF-Behandlungen nur noch zu 50 % für maximal 3 Behandlungen finanzieren und Privatversicherungen versucht haben, den Versicherungsfall auf 1 Kind zu begrenzen. Merkwürdig und objektiv unverständlich ist, warum gerade gegenüber dieser Krankheit und ihrer sterilitätsmedizinischen Behandlung eine derartige Reserviertheit bestand – und immer noch besteht.
In den folgenden Artikeln auf dieser Seite finden Sie Details zur Rechtshistorie in den unterschiedlichen Versicherungsbereichen
PKV, GKV und Beihilfe.
Leistungrecht zur IVF – eine kleine Auswahl häufiger Streitthemen
- Kostenübernahme für 2. (weiteres) Kind:
- GKV: ja, § 27 a SGB V
- PKV: ja, BGH-Urteil vom 21.09.2005
- Quasi heterologe Behandlung (keine Drittspende, Paar aber nicht verheiratet):
- GKV: nein, kein Anspruch (Ehevorbehalt bestätigt von Bundesverfassungsgericht, Urteil 28.02.07)
- PKV: Instanzgerichte wohl mehrheitlich ja, noch strittig, BGH-Urteil steht noch aus
- Heterologe Behandlung Eizellspende oder Samenspende Dritter:
- kein Leistungsanspruch
- Eizellspende anderer Frau unzulässig in BRD; Behandlung für Arzt strafbar!
- Samenspende anderen Mannes unter engen Voraussetzungen zulässig (bei Infertilität des Mannes eines Ehepaares) – rechtsethisch dennoch problematisch! Große Folgeprobleme bezüglich Erbrecht, Unterhaltsrecht und Abstammungsrecht des Kindes. Bedenklich bezüglich Kindeswohl!
Süddeutsche Zeitung vom 17.12.07
“Auf der Suche nach dem Ich”
Identitätsprobleme der Kinder von anonymen Samenspendern
- Altersgrenzen:
- GKV: im Gesetz geregelt, § 27 a SGB V
- PKV: in AVB meist nicht geregelt; häufiger Einwand der Versicherer bei zunehmendem Alter: zu geringe Erfolgsaussichten der IVF-Behandlung
Weitere Einzelheiten:
- in den folgenden Artikeln auf dieser Seite, geordnet nach den verschiedenen Versicherungsbereichen GKV, PKV, Beihilfe, Heilfürsorge
- in unserer Urteilssammlung
Privatpatienten / PKV (Private Krankenversicherung)
Die neuen Behandlungsmethoden der modernen Reproduktionsmedizin waren für die Gerichte Neuland.
Mit der zutreffenden rechtlichen Einordnung hatten die Gerichte anfangs erhebliche Probleme. Sie lehnten nämlich die IVF als Heilbehandlung einer Krankheit und somit als Versicherungsfall in der PKV ab -gegen jede „medizinische Vernunft“. So wurde IVF von den Medizinern zwar erfolgreich praktiziert, die Kostenübernahme für die Heilmethode von den Gerichten aber mehrheitlich negiert!
IVF als Versicherungsfall – juristisches Neuland ein schwieriges Terrain für die Gerichte:
Ihre Ablehnung begründeten die Zivilgerichte damit, Sterilität sei keine Krankheit, IVF sei keine Heilbehandlung der Krankheit oder jedenfalls nicht notwendig.
Merkwürdiger Weise wurde die IFV-Behandlung zuerst über den Umweg der Behandlung eines sekundär aufgetretenen Nervenleidens als Versicherungsfall anerkannt (Urteile des LG Hamburg vom 30.10.1985 und des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 17.09.1986, 8 U 185/85). In diesem von unserer Kanzlei erstrittenen Urteil ist ausgeführt:
Das Gericht neige dazu, die IVF-Behandlung unserer Mandantin als Heilbehandlung ihrer Sterilität zu werten. Das brauche aber nicht entschieden zu werden, weil jedenfalls die zusätzlich aufgetretene psychische Erkrankung (Depression aufgrund der ungewollten Kinderlosigkeit) mittels (!) IVF behandelt werde. – So verquer können Richter argumentieren, wenn es um juristisches Neuland geht, das sie nicht betreten wollen.
Auch das LG München I war damals noch auf Ablehnung der neuartigen IVF eingestellt. Sein Urteil vom 19.09.1984 ist ein Musterbeispiel für die angesprochene Reserviertheit der Gerichte gegenüber Neuem. Es wies unsere Klage ab. Auf 17 Urteilsseiten rang es sich zwar dazu durch, (1) die Sterilität als Krankheit zu sehen, auch sei (2) die IVF eine Heilbehandlung dieser Krankheit – aber (3): für diese Heilbehandlung bestehe keine medizinische Notwendigkeit!
Dabei verwechselte das Landgericht auch noch den medizinischen Sachverhalt und sprach von fehlenden Eierstöcken statt fehlender Eileiter (nach einer Krebstherapie). Auf unsere Berufung wurde das Fehlurteil des Landgerichts vom OLG München (Urteil vom 30.06.1987) aufgehoben und der Klage unserer Mandantin auf Zahlung der IVF- Behandlungskosten stattgegeben.
Der BGH hatte in einem anderen Prozess mit seinem 1. Urteil zur IVF (17.12.1986, IV a ZR 78/85) für Klarheit gesorgt: bei entsprechender Indikation ist die IVF-Behandlung ein Versicherungsfall in der PKV.
Alle unteren Gerichtsinstanzen und notgedrungen auch die Krankenversicherer folgten in Zukunft dieser Einschätzung.
IVF und 2. Kind / weiterer Kinderwunsch:
In jüngster Vergangenheit musste dann heftig um die Frage „ 2. (weiteres) Kind „ gestritten werden. Unsere Kanzlei führte auch hierzu zahlreiche Prozesse. Am Ende gab der BGH auch in dieser Frage den klagenden Kinderwunsch-Paaren Recht!
Aktuelle Streitfragen, Trends:
Paare mit „gemischten Krankheitsbefunden“ (und unterschiedlichen Versicherungen) werden neuerdings oft im Stich gelassen, indem ein Versicherer die Verantwortlichkeit auf den jeweils anderen schiebt. Hier hilft es dann oft nur, beide Versicherungen zu verklagen.
Strittig ist derzeit noch, ob die Kostenübernahme nur verheirateten Kinderwunsch-Paaren zusteht oder auch eheähnlichen (heterosexuellen) Paaren eröffnet ist (Ehevorbehalt). Nach unserer Auffassung darf die Leistung in der Krankenversicherung nicht vom Paarstatus (Heirat oder eheänhliche Lebensgemeinschaft) abhängen. Die Instanzgerichte beurteilen die Frage des Ehevorbehalts derzeit unterschiedlich; ein Urteil des BGH steht dazu noch aus.
Nachdem die IVF nun unstreitig in der PKV ein Versicherungsfall ist, gehen manche Versicherer zu Beschränkungen in ihren Standard- oder Basistarifen über! Sie legen in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen dort für IVF und alle anderen Maßnahmen der künstlichen Befruchtung und modernen Reproduktionsmedizin Leistungsausschlüsse oder -beschränkungen fest; umfassender Versicherungsschutz für das Sterilitätsrisiko und dessen Heilbehandlung besteht dann nur in den Premiumtarifen. – Also Vorsicht beim Abschluss von Verträgen oder Tarifänderungen! Hier sollte man vorher unbedingt den Leistungsumfang und „das Kleingedruckte“ genau prüfen!
Die Versicherer schulden eine Kostenübernahme für die IVF-Behandlung nur, wenn sie hinreichende Erfolgsaussichten hat. Manche Versicherer neigen nach unserer Erfahrung dazu, die medizinischen Anforderungen zu streng auszulegen und berechtigte Leistungsansprüche abzulehnen. In solchen Fällen sollten Patienten unbedingt anwaltlichen Rat suchen!
Versuchszahl, Kryokosten, Mehrkosten bei mehr als 5 behandelten Eizellen: Zwar ist die IVF als Versicherungsfall seit mehr als 20 Jahren grundsätzlich anerkannt. Dennoch sind zahlreiche Details heute noch streitig und in der Rechtsprechung noch nicht oder erst teilweise geklärt. Da der medizinische Fortschritt nicht still steht und sich immer wieder neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen, entstehen so auch ständig neue Streitthemen zwischen PKV und Patienten.
Verursacherprinzip in der PKV II – Sterilitätsursachen allein bei einem Partner des Paares
In der PKV gilt das sogenannte Verursacherprinzip (anders als bei der GKV = gesetzliche Krankenkassen). Das bedeutet, dass die PKV die Behandlungskosten nur dann und in dem Umfang übernimmt, wie sie durch eine Sterilitätsursache der bei ihr versicherten Person verursacht sind. Aus diesem Grundprinzip erklären sich die 3 folgenden Urteile:
Kranker Mann, kombinierte IVF- und ICSI-Behandlung = PKV muss Gesamtkosten der Kinderwunschbehandlung des kranken Mannes zahlen:
Eine kombinierte IVF- und ICSI-Behandlung wurde durchgeführt, weil der Mann an einer Infertilität (Unfruchtbarkeit) litt; seine Frau war dagegen gesund. In diesem Fall muss nach der Entscheidung des BGH (IV ZR 25/03, Urteil vom 03.03.2004) die Versicherung des kranken Mannes die gesamten Kosten der Kinderwunschbehandlung tragen, einschließlich der ärztlichen Behandlungsmaßnahmen, die am Körper seiner (gesunden) Ehefrau zur Ermöglichung einer künstlichen Befruchtung nötig waren.
Damit hat über diese Konstellation erstmals der BGH entschieden und zwar mit dem gleichen Ergebnis wie bereits ca. 15 Jahre zuvor das LG Oldenburg in einem von unserer Kanzlei geführten Prozess (Urteil vom 08.05.1990, MDR 1990,927).
Gesunde Frau = ihre PKV ist nicht eintrittspflichtig :
Aus dem Verursacherprinzip folgt umgekehrt, dass die private Krankenversicherung einer gesunden Frau nicht für die Behandlungskosten einzutreten hat, wenn die Ursache für die Paarsterilität (allein) bei ihrem anderweitig versicherten Mann liegt (BGH IV ZR 58/97, Urteil vom 12.11.1997).
Das gilt selbst dann, wenn dieser Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist und seine Kasse wegen der dort abweichenden Rechtslage (§ 27 a SGB V, Behandlungsprinzip!) u. U. nur einen geringen Teil der Gesamtbehandlungskosten zu tragen hat!
2. Kind / weiterer Kinderwunsch mittels IVF-Behandlung: Das ist ein Versicherungsfall (BGH)!
Höchst umstritten war die Frage, ob eine Sterilitätsbehandlung auch dann ein Versicherungsfall für die PKV ist, wenn das Ehepaar nicht mehr kinderlos ist. Die Instanzgerichte hatten unterschiedlich, wohl mehrheitlich mit “ja” geurteilt und den Versicherungsfall bejaht.
Nun hat auch der BGH (IV ZR 113/04, Urteil vom 21.09.2005) entschieden in Bezug auf ein 2. Kind: Ja!
Die Aufstellung betrifft Prozesse, die alle (mit Ausnahme OLG Düsseldorf) von unserer Kanzlei geführt wurden.
Ja:
- OLG Düsseldorf, I-4 U 135/03, – Urteil vom 20.04.2004 (rechtskräftig)
- LG Landshut, 24 O 2781/98 – nicht rechtskräftig / durch Vergleich beendet
- LG München I, 23 O 17528/03 – nicht rechtskräftig / durch Vergleich beendet
- LG München I, 12 O 9128/04 – nicht rechtskräftig / durch Vergleich beendet
- LG München I, 25 O 7593/02 – vom BGH bestätigt (o.g. Urteil vom 21.09.2005)
- AG München, 261 C 27119/02 – vom LG München I ( 20 S 21528/03 ) später aufgehoben.
Nein:
- LG München I, 20 S 21528/03 – rechtskräftig
- OLG München, 25 U 4788/03 – nicht rechtskräftig / vom BGH wieder aufgehoben mit o.g. Urteil vom 21.09.2005
Seine bisherige Rechtsprechung (2. Kind, Urteil vom 21.09.2005) hat der BGH in einem ebenfalls von unserer Kanzlei geführten Prozess konsequent fortgesetzt (Urteil vom 13.09.2006, IV ZR 133/05). Demnach darf Eltern von 2 Kindern der Versicherungsanspruch auf Sterilitätsbehandlung mit dem Ziel für ein 3. Kind nicht versagt werden. Das gegenteilige Urteil des OLG München, das unsere Klage zuvor abgewiesen hatte, hob der BGH mit der bemerkenswerten Begründung auf, dass das OLG-Urteil “schon im Ansatz der rechtlichen Überprüfung nicht standhält”.
IVF als Versicherungsfall in der PKV – die beiden ersten BGH-Urteile (1986 und 1987)
1986 hat der BGH erstmals über die IVF-Behandlung entschieden (IVa ZR 78/85, Urteil vom 17.12.1986). Er hat festgestellt, dass die IVF-Behandlung bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine medizinisch notwendige Heilbehandlung und damit ein Versicherungsfall in der PKV (private Krankenversicherung) sein kann. Es werde der Funktionsausfall der erkrankten oder fehlenden Fortpflanzungsorgane behoben und die Krankheit gelindert, so die wesentliche Begründung. Damit wurde ein jahrelanger Meinungsstreit der Instanzgerichte, die in dieser Rechtsfrage kontrovers geurteilt hatten, beendet.
Schon im nächsten Jahr, also 1987, folgte das 2. Urteil des BGH zur IVF, diesmal speziell zur Problematik ihrer wiederholten Durchführung. Der BGH (IVa ZR 59/86, Urteil vom 23.09.1987) verpflichtete die Versicherung, auch die Kosten für den 2. + 3. Behandlungszyklus (mehr war dort nicht eingeklagt) zu übernehmen . Eine Grenze könne sich aber aus Treu und Glauben, § 242 BGB, und dem Gesichtspunkt der Schonung der Versichertengemeinschaft vor extremen Kostenbelastungen ergeben.