Für gemischt versicherte Kinderwunschpaare (1 Partner privat-, der andere gesetzlich versichert) ist das Leistungsrecht kompliziert, unübersichtlich und nicht aufeinander abgestimmt, da es um 2 unterschiedliche Rechtsbereiche (PKV / GKV) geht. Es können Leistungslücken eintreten! Eine neue Variante zu Lasten von Kinderwunschpaaren ergibt sich aus dem Urteil des LSG Berlin – Brandenburg vom 24.4.2015. Das LSG stellt geradezu eine Kostenfalle auf! Es bleibt abzuwarten, ob sich die Rechtsauffassung des LSG durchsetzt. Jedenfalls hat das SG Nürnberg (Urteil vom Januar 2022) in einem von uns vertretenen Streitfall mit vergleichbarer Versicherungskonstellation gegenteilig entschieden! Das Urteil des SG Nürnberg ist allerdings derzeit nicht rechtskräftig, weil die beklagte Krankenkasse Berufung eingelegt hat.

Sachverhalt: 

Der Mann ist beihilfeberechtigt und daneben mit einem Erstattungssatz von 50 % privat versichert. Er leidet an organisch bedingter Unfruchtbarkeit. Seine Frau ist gesetzlich krankenversichert. Die PKV des Mannes hat Kostenbeteiligung versprochen und darum gebeten, dass vor Behandlungsbeginn die Frau bei ihrer Krankenkasse (auch) einen Leistungsantrag stellt, was auch geschah.  Im Einklang mit der zivilrechtlichen Rechtslage hat die PKV des Mannes sodann 50 % der Behandlungskosten erstattet. Die Frau hatte ebenso bei ihrer GKV rechtzeitig einen Behandlungsplan vorgelegt und dort Leistungen beantragt. Ihre GKV lehnte aber eine Kostenbeteiligung ab u.a. mit dem Argument, die PKV des Mannes habe 50 % bereits erstattet und mehr könne die Frau nach Kassenrecht gemäß § 27 a SGB V ohnehin nicht verlangen.

Urteil LSG Berlin – Brandenburg (24.4.15):

Das Landessozialgericht gab der Krankenkasse der Frau recht! Die Frau ging daher leer aus.

Zwar besteht nach der Rechtsprechung des BSG bei gemischt versicherten Kinderwunschpaaren grundsätzlich ein Wahlrecht (siehe dazu unser gesonderter Artikel „gemischt versichertes Kinderwunschpaar I). Aber hier sei durch die Zahlung der PKV des Mannes der Anspruch der Frau gegen ihre GKV erloschen oder auf andere Weise entfallen. Das LSG räumte zwar ein, dass eine dogmatisch einwandfreie Begründung für das Untergehen des Anspruchs zweifelhaft ist. Allerdings interessierte sich das LSG für diese „Feinheit“ nicht weiter.

Weil jedenfalls der Mann aus seiner Versicherung (PKV) bereits 50 % der Kosten erstattet bekam, könne seine Frau nichts mehr verlangen, so das LSG. Nach Meinung des LSG handelt es sich bei den Ansprüchen des Mannes und der Frau um sich „überschneidene“ Ansprüche (diese vom LSG bemühte Rechtsfigur kennt das Gesetz nicht!). Und wenn dann die PKV zahle, erlösche auch die Schuld der GKV.

Anmerkungen:

Aktualisierung: Urteil des BSG vom 29.8.2023 zu ähnlichem Fall! Das BSG ist anderer Auffassung als LSG Berlin-Brandenburg: es erfolgt keine Anrechnung! – Damit ist das Urteil des LSG Berlin – B. aus dem Jahre 2015 obsolet geworden. In der Zwischenzeit hat es dennoch vielen Kinderwunschpaaren den Weg für eine Kostenübernahme durch die GKV verbaut.

1. Unsere Meinung: das Urteil des LSG Berlin-B. ist falsch.

Es übergeht zum Einen die erwähnte Rechtsprechung des BSG. Zum anderen enthält es keine Begründung dafür, warum die Leistung einer Versicherung (PKV des Mannes) auf ihre eigene (PKV) Verpflichtung zugleich eine andere Versicherung, nämlich die GKV der Frau „automatisch“ befreien soll und kann. Es handelt sich nämlich um 2 verschiedene Gläubiger (Mann und Frau) und 2 verschiedene Versicherungs- und Leistungsverhältnisse.

2. SG Nürnberg (Urteil Januar 2022):

In einem Fall mit ähnlicher versicherungsrechtlicher Konstellation (Frau GKV / Mann zu 50 % PKV bei Debeka und daneben Bay. Beihilfe) hat das SG Nürnberg gegenteilig zu LSG Berlin-B. entschieden und der Klage unserer Mandantin stattgegeben. Allerdings hat die beklagte BKK gegen dieses Urteil Berufung eingelegt; über die Berufung ist noch nicht entschieden.

3. zum Vergleich Beihilfe / PKV : hier keine Anrechnung!

Im Verhältnis Beihilfe / PKV sind dagegen Leistungen der PKV des Beihilfeberechtigten (50 %) nicht auf seine Erstattungsansprüche gegen seine Beihilfe anzurechnen (Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom Februar 2023).