Kosten einer Auslands – IVF/ICSI – Behandlung absetzbar, auch wenn mehr als 3 Eizellen befruchtet wurden
Dreierregel und deutscher Mittelweg – zur Auslegung des ESchG durch den BFH
Grundsätzlich sind Aufwendungen für eine medizinisch indizierte künstliche Befruchtung als Krankheitskosten steuerlich absetzbar als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG. Das entspricht der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BFH (Bundesfinanzhof).
Das Problem:
Allerdings verlangt der BFH in diesem Zusammenhang, dass die Behandlung im Einzelfall mit der ärztlichen Berufsordnung konform geht und auch im Übrigen mit der deutschen Rechtsordnung, insbesondere mit dem ESchG (Embryonenschutzgesetz), im Einklang ist. Das ESchG aus dem Jahre 1990 verbietet es in § 1 Abs. 1 Zi. 3, gleichzeitig mehr als 3 Embryonen zu transferieren (Risiko Mehrlingsschwangerschaft). Ferner verbietet § 1 Abs. 1 Zi. 5 ESchG, mehr Eizellen zu befruchten, als später innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen; eine (Höchst)Zahl nennt freilich Zi. 5 nicht, im Unterschied zu Zi. 3!
Andererseits ist es eine bekannte medizinische Tatsache, dass sich nicht alle Eizellen befruchten lassen und nicht alle befruchteten nachher weiter entwickeln. Damit die Behandlung befriedigende Erfolgsaussichten hat, darf sie wegen dieser Ausfallquoten nicht mit zu wenigen Eizellen durchgeführt werden. Es besteht daher ein Zielkonflikt und ein Dilemma: wird mit zu vielen Eizellen gearbeitet, so ist dies mit den Vorgaben des – veralteten – ESchG schlecht zu vereinbaren. Wird mit wenigen Eizellen gearbeitet, so ist die Erfolgsaussicht der teuren und beschwerlichen Behandlung unvertretbar gering.
Insbesondere bei Behandlungen im Ausland besteht die Gefahr, dass es hier zu Diskussionen kommt.
Der Sachverhalt:
Unser Mandant wohnt am Bodensee und wählte daher eine für ihn ortsnahe Behandlung in Bregenz, Österreich. Darin witterte das Finanzamt ein Problem: in Österreich sei die Behandlung „liberaler“ gestaltet als in Deutschland und daher nicht mit dem strengen deutschen Embryonenschutz im Einklang. Hinzu kam, dass – auf Anfrage – das österreichische Kinderwunschzentrum nicht bestätigen wollte, dass die Behandlung konform dem (deutschen) ESchG durchgeführt worden sei. Es wurden 1 x 4 Eizellen und beim 2. Versuch 7 Eizellen befruchtet. Allerdings entwickelten sich nur jeweils 2 weiter, die transferiert werden konnten.
Darin sah das Finanzamt einen Verstoß gegen das ESchG, das eine Übertragung von mehr als 3 Embryonen und zuvor eine Entnahme von „zu vielen“ Eizellen verbietet. Die Behandlungskosten wurden vom Finanzamt deswegen nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt.
Der Prozess:
Dagegen erhob unser Mandant Klage. Wir machten geltend, dass im Regelfall sich nicht alle gewonnenen Eizellen befruchten lassen und auch nicht alle befruchtetet Eizellen sich weiter entwickeln. Um eine vertretbare Erfolgsaussicht der Behandlung zu erreichen, ist es wegen dieser „Ausfallquoten“ daher nötig, deutlich mehr als 3 Eizellen zu entnehmen, um am Ende im weiteren Behandlungsverlauf dann 1 oder 2 potente Eizellen für einen Rücktransfer nach Befruchtung im Reagenzglas zur Verfügung zu haben. Dieses Verfahren – der in der Reproduktionsmedizin bezeichnete „deutsche Mittelweg“ – sei auch zulässig, so unsere Argumentation, da § 1 Abs. 1 Zi. 5 gerade keine Höchstzahl vorschreibt und ferner die medizinische Tatsache der Ausfallquoten ausreichend einkalkuliert werden muss und darf.
Dieser Argumentation – die eine medizinische Gesetzmäßigkeit und Tatsache beschreibt – folgte das Finanzgericht Baden-Württemberg leider nicht. Es wies unsere Klage ab (Urteil vom 28.4.2015).
Jedoch war unsere Revision gegen das Urteil des FG erfolgreich. Der BFH (Urteil vom 17.5.2017) hob das Urteil des FG auf. Er stellte darauf ab, dass § 1 ESchG nicht das Verbot enthält, höchstens 3 Eizellen zu befruchten. Die Dreierregel gilt zwar für den Transfer von Embryonen, nicht aber für die davor liegende Entnahme und Befruchtungsversuche von Eizellen, also ein früheres Behandlungsstadium. Demnach muss und darf der Arzt eine sorgfältige individuelle Prognose zu Beginn der Behandlung über den zu erwartenden Behandlungsverlauf vornehmen. Er muss dabei das „Prognoseprofil“ der Patientin würdigen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass durchschnittlich nur 20 – 30 % der Eizellen das Blastozystenstadium erreichen. Diese Misserfolgsquote, die erfahrungsgemäß und im Regelfall eintritt, darf einkalkuliert werden. Nur so sei eine vertretbare Erfolgsaussicht der Behandlung erreichbar.
Beim 1. Behandlungszyklus (4 entnommene Eizellen) hatte der BFH keine Bedenken. Hinsichtlich des 2 Behandlungszyklus (7 Eizellen) war die Sache für den BFH nicht spruchreif, da das Erstgericht die tatsächlichen Verhältnisse nicht ausreichend festgestellt hatte. Hier gab der BFH dem Erstgericht, an das er den Rechtsstreit zurückverwies , auf, durch Sachverständigengutachten zu klären, ob die Entnahme von 7 Eizellen unter Berücksichtigung der individuellen Umstände mit dem ESchG im Einklang war.