Medizinische Erfolgsprognose auch bei (junger) „Poor Responder“  für IVF/ICSI – Folgezyklen ausreichend

Zum Sachverhalt:

Die Central Krankenversicherung AG war für die Kosten aus dem 1. und 2. IVF/ICSI – Behandlungszyklus eingetreten. Da die Behandlung frustran  verlief, wollte das Kinderwunschpaar diese fortsetzen. Die Central  lehnte ihre Eintrittspflicht für die beabsichtigte weitere Behandlung jedoch ab mit der Begründung, eine günstige medizinische Erfolgsprognose liege nicht mehr vor. Die Frau sei eine sogenannte „poor responder“; dies zeige der bisherige Behandlungsverlauf und die geringe Eizellausbeute; außerdem liegen bei der Frau weitere Fertilitätshandicaps vor, die die Erfolgschancen einer künstlichen Befruchtung noch zusätzlich einschränken würden.

Das Kinderwunschpaar wollte sich mit dieser Absage nicht zufrieden geben – und der weitere Verlauf gab ihm medizinisch und juristisch Recht! Im 4. IVF/ICSI – Behandlungszyklus wurde eine Schwangerschaft erzielt, die zur Geburt von Zwillingen führte. Und das LG Ravensburg gab unserer Klage auf Kostenübernahme in vollem Umfang statt.

Zur medizinischen Bewertung:

Beim Mann lag eine Subfertilität vor, die eine IVF/ICSI – Behandlung indizierte. Seine Frau (geboren 1982) sprach auf die übliche Hormonstimulation, die meist begleitend zur IVF – Behandlung durchgeführt wird, nicht recht an. In den ersten beiden Behandlungszyklen konnten nur wenige Eizellen gewonnen werden. Das Paar wechselte den Arzt und den Therapieansatz. Ab dem 3. Behandlungszyklus wurde auf die ansonsten übliche Stimulationsbehandlung verzichtet.

Im Prozess beauftragte das Gericht einen Gutachter, der die medizinisch strittigen Tatsachen bewerten sollte, insbesondere die strittige Frage, ob die medizinische Erfolgsprognose für die Weiterbehandlung noch günstig ist.

Von der allein auf der Basis des Alters der Frau (zur Zeit der Behandlung ca. 35 Jahre) sehr günstigen statistischen Erfolgsprognose von 38,8 % laut IVF – Register war in diesem Einzelfall aufgrund der individuellen Verhältnisse bei der Frau ein Abschlag vorzunehmen. Allerdings überschritt auch nach diesem Abschlag die Prognose immer noch den Wert von  15 %, der nach den Vorgaben der Rechtsprechung mindestens erreicht werden muss.

Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass das Scheitern der Vorbehandlung (2 Zyklen) noch kein Grund ist, der Folgebehandlung eine günstige Prognose zu versagen. Gleiches gelte für die geringe Eizellausbeute unter herkömmlicher Hormonbehandlung. Neben der Zahl der Eizellen sei auch die Qualität sehr wichtig, so der Gutachter. Ferner sei nach dem Wechsel des Therapieansatzes die Behandlung ohnehin günstiger verlaufen. Zwar müsse die Frau als poor responder eingestuft werden; jedoch bedeute dies nicht, dass keine Chance mehr auf die Produktion potenter Eizellen bestehe. Auch nach Abschlägen werde die Marke von 15 % überschritten, so der Gutachter.

Die Central hatte ergänzend noch ins Feld geführt, dass eine Endometriose, Verwachsungen und ein Polyp an der Hinterwand der Gebärmutter die Erfolgsprognose zusätzlich verschlechtern würden. Dem erteilt der Gutachter aber eine Absage.

Ferner hatte die Central eingewandt, dass vor der Behandlung eine Hysteroskopie (Gebärmutterspiegelung)  hätte durchgeführt werden müssen. Auch dem folgte der medizinische Sachverständige nicht, nachdem die männliche Subfertilität ja ohnehin eine IVF/ICSI – Behandlung erforderte.

Das Urteil des LG Ravensburg:

Das Landgericht Ravensburg war davon überzeugt, dass der Sachverständige den medizinischen Sachverhalt zutreffend festgestellt und bewertet hat. Auf der Basis seines Gutachtens hatte das Gericht die Rechtsfrage, ob zu Lasten der Central ein Versicherungsfall vorliegt zu entscheiden. Im Kern war die Frage zu beurteilen, ob der Kläger den Nachweis der ausreichenden medizinischen Erfolgsaussichten der Behandlung erbracht hatte.

Das Gericht bejahte dies. Es kam zu dem Ergebnis, dass unserem Mandanten mit dem Sachverständigengutachten der Nachweis ausreichender medizinischer Erfolgsaussichten der Behandlung gelungen ist.

Das Gericht stellte fest, dass der ungünstige Verlauf der ersten beiden Behandlungszyklen nicht schadet, zumal das Therapiekonzept aus begründetem Anlass anschließend gewechselt wurde. Auch schade nicht, dass die Frau des Klägers als poor responder eingestuft werden muss. Von einer Ausschöpfung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten kann im vorliegenden Fall erst gesprochen werden, wenn 6 Behandlungszyklen durchgeführt worden sind. – Soweit kam es allerdings gar nicht, weil im 4. Zyklus eine Schwangerschaft mit anschließender Geburt erreicht wurde!