Männliche Subfertilität als Versicherungsfall in der PKV – Bewertung von Spermiogrammen, WHO – Handbuch

Das Problem: Nachweis der männlichen Subfertilität als Voraussetzung für den Versicherungsfall der PKV

Die PKV (private Krankenversicherung)  des Mannes ist für die Kosten einer Kinderwunschbehandlung eintrittspflichtig, wenn eine männliche Erkrankung vorliegt. Um dies festzustellen, müssen Spermiogramme vorliegen und es muss bewertet werden, ob diese einen regelwidrigen oder normgerechten Befund zeigen.Allgemein gültige Grenzwerte sind weder in den AVB (Allgemeine Versicherungsbedingungen) noch im Gesetz festgelegt. So ist – insbesondere bei „grenzwertigen“ Spermiogrammen – der Streit zwischen PKV und VN (Versicherungsnehmer) vorprogrammiert.

Zur Bewertung von Spermiogrammen:

Bei Gewinnung, Dokumentation und Auswertung eines Spermiogramms orientiert man sich in der Regel am sogenannten WHO – Handbuch. Allerdings ist dieses Handbuch nach einhelliger Meinung in der Reproduktionsmedizin kein Maßstab für die Indikationsstellung zu einer reproduktionsmedizinischen Behandlungsmaßnahme. Der Behandler eines Paares mit lange unerfülltem Kinderwunsch wird vor Einleitung einer Therapie die Gesamtumstände berücksichtigen und mit den Patienten besprechen müssen.

Korrektur der Referenzwerte durch höhere Konzentration und Volumen?

Das WHO – Handbuch sieht für diverse Eigenschaften der Spermien Referenzwerte vor, die in relativen Größen ausgedrückt werden, z.B. für den Anteil der vorwärts beweglichen Spermien oder den Anteil morphologisch intakter Spermien. Letzterer muss mindestens 4 % (von allen Spermien im Ejakulat vor Aufbereitung) betragen.

In diesem vom AG München zu entscheidenden Fall zeigten die Spermiogramme erhebliche Schwankungen. Die Werte waren z. T. nicht normgerecht (gemessen an den WHO – Referenzwerten) – aber auch nicht allesamt sehr schlecht. Das Volumen und die Konzentration waren z. T. gut. Damit wollte die PKV das schlechte Ergebnis zu den relativen Anteilen normgerechter Spermien „schön rechnen“. Sie argumentierte: das große Volumen und die hohe Konzentration habe biologische Signifikanz; daraus ergebe sich – in absoluten Zahlen – eine ausreichend hohe Zahl intakter Spermien; auf den relativen Anteil gesunder Spermien komme es dann nicht mehr an. Die guten Absolut-Werte würden die schlechteren Relativ-Werte wettmachen, so die PKV.

Das Urteil des AG München:

Das Gericht erteilte aber der Argumentation der PKV eine Absage.

Es holte zu der medizinischen Streitfrage ein andrologisches Sachverständigengutachten ein. Die Gutachterin kam unter Hinweis auf die Fachliteratur und das WHO – Handbuch zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die relativen Werte (Anteil der intakten Spermien in Prozent) ausschlaggebend sind, nicht die „gezählte“ und dann hochgerechnete Absolutzahl der normgerechten Spermien.

Das AG München schloss sich der medizinischen Bewertung der Sachverständigen an und ließ das besagte „Schönrechnen“ durch die Central Krankenversicherung AG nicht zu. Es gab der Zahlungsklage unseres Mandanten in vollem Umfang statt (Urteil vom 8.4.2017; das Urteil ist rechtskräftig).

Anmerkung:  Das ist auch einleuchtend, wenn man bedenkt, dass in einem Ejakulat Millionen von Spermien enthalten sind. Für den Erfolg eines Befruchtungsvorgangs kommt es daher nicht darauf an, ob wie viele Hunderttausend intakte Spermien in der Ausgangsmenge des Ejakulats vorhanden sind, sondern dass 1 Spermium aus dieser Gesamtmenge die zahlreichen organischen Hürden im Befruchtungsvorgang überwinden muss und die befruchtungsbereite Eizelle erreichen muss; sind nur 4 % intakt und 96 % defekt, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass gerade ein intaktes Spermium die Eizelle erreicht und befruchtet eben sehr gering. Ob es 4 % aus 20 Millionen oder 4 % aus 5 Millionen sind, spielt für die Wahrscheinlichkeit keine Rolle, da der relative Anteil immer gleich ist.